Im letzten Monat gab es in Korea eine Kontroverse über ein Webtoon. Webtoons sind in Korea sehr beliebte Webcomics, die im Internet kostenlos zur Verfügung stehen. Die kontroverse Szene stammt aus einem beliebtesten Webtoon in Naver (Naver ist eine große Suchmaschine wie Google) und der heißt „Bokhak-Wang“ von „Kian 84“ (so nennt sich der Autor). Die umstrittene Szene stellt dar, wie ein Mädchen beim Trinken in der Kneipe vor ihren Arbeitskollegen einen Otter nachahmt und mit einem spitzen Stein eine Muschel bricht, die auf ihrem Bauch liegt. Dieses Mädchen war in der Firma bisher eine Praktikantin und bekam nach dieser komischen Nachahmung eine Vollzeitstelle. Meiner Meinung nach wollte der Autor folgendes zum Ausdruck bringen: Der Chef denkt, dass das Mädchen schwierige Aufgaben lösen kann, weil sie vor so vielen Leuten ohne Verschämtheit ein komisches Schauspiel vorführt. Diese Szene wurde heftig kritisiert (zumeist von Frauen). Ihrer Meinung nach deutet die Szene an, dass das Mädchen aufgrund von Sex mit dem Chef der Firma die Arbeitsstelle erhält (Sie meinen, dass das Schauspiel eine Metapher sei). Die Kritiker behaupteten, dass diese Szene ein Klischee der koreanischen Gesellschaft über die Frauen enthält, die Leser von diesem Webtoon negativ beeinflusst werden könnten und dieses Webtoon deshalb aus Naver ausgeschlossen werden müsste. Das war im Internet ein heißes Thema. Viele Leute schrieben danach Hasskommentare im Internet. Die Kritik am Autor ist sehr hart ausgefallen. In Korea ist es schon vorgekommen, dass berühmte bzw. öffentliche Personen aufgrund von Hasskommentaren Selbstmord begangen haben. Ich finde, dass diese Erscheinung ein großes Problem in der koreanischen Gesellschaft ist. Koreaner leben in einer Zeit des Hasses.
Nachdem sich das Internet verbreitet hat, ist eine direkte Kritik viel einfacher geworden. Es ist ganz einfach, im Internet einen Gegenstand der Kritik zu finden. Es kann jeden betreffen und es ist egal, ob das Vergehen klein oder groß ist. Per Youtube oder Online-Nachrichten kann alles sehr schnell verbreitet werden und viele Leser können es finden (Je berühmter die Person, desto schneller). Das ermöglicht eine ‚direkte‘ Kritik von jedem, an jedem, an allem. Die Menschen können problemlos an allen Arten von Hasskommentaren teilnehmen, die bis zum „Internet-Lynchen“ führen können. Ich möchte jedoch fragen, ob diese Art des Umgangs im Internet gerechtfertigt ist.
Im Fall von Kian84 haben die Hasskommentare nicht direkt nach der Veröffentlichung des Webtoons begonnen, sondern erst nach einigen kritischen Kommentaren. Dabei ist nicht klar, ob Kian84 die Szene wirklich als eine Sex-Metapher gemeint hat. Und wenn ja, ob es nicht vielmehr eine Kritik seinerseits an den Verhältnissen in Korea sein sollte (und keine Aufforderung so zu handeln). Das wäre die Vorbedingung für die Berechtigung von Kritik. Die wütende Menge versucht jedoch auf eine andere Weise Ihre Hasskommentare zu rechtfertigen. Sie seien eine notwendige Maßnahme für eine moralisch verbesserte und aufgeklärte Gesellschaft. Sie sind überzeugt, dass ihre Hasskommentare wie eine Erziehung für einen bösen Menschen sind und sie moralisch besser sind als er. Die Gefährlichkeit einer solchen Zensur durch die Allgemeinheit liegt darin, dass sie auf einem moralischen Überlegenheitsgefühl basiert, das Ziel der Hasskommentare eine Aufklärung sein soll. Aber es ist eher eine Form des Egoismus. Hasskommentare sind also keine Aufklärung, sondern vielmehr Sadismus. Wenn berühmte Personen aufgrund von Hasskommentaren ins Unglück geraten, erzeugt dies beim Hasskommentar-Teilnehmer Schadenfreude.
Wenn ein Prominenter sich für etwas entschuldigt, werden die Hasskommentare sogar noch härter, weil man sieht, dass auf die Kommentare reagiert wird. Dagegen macht in Korea niemand auf sprachliche Gewalten der Angeordneten Aufmerksam. Wenn dies mitunter vorkommt, wird die Kritik einfach ignoriert. Die Opfer der Hasskommentare sind Menschen, die man einfach beherrschen und kontrollieren kann. ‚Kian 84‘ hat sich entschuldigt und kommt nicht mehr zu einer beliebten TV-Show, wie eigentlich jede Woche. Durch diese Art des Umgangs im Internet ist es kaum noch möglich, eigene Meinung zu kontroversen Themen zu vertreten, weil es schnell nur noch darum geht andere nieder zu machen.
Die Leute, die Hasskommentare schreiben, denken, dass Hasskommentare eine Art der Kritik seien. Jedoch kann man mit Hasskommentaren kein Problem lösen, obwohl es das Ziel der Kritik sein sollte. Ein Hasskommentar und eine Kritik sind verschiedene Dinge.
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